Die politische und gesellschaftliche Debatte über das, was am besten als zeitgemäßes Lernen beschrieben wird, krankt in vielerlei Hinsicht daran, dass gar nicht so richtig klar ist worüber geredet wird. Dies zeigt sich an den vielen Begrifflichkeiten: digitale Bildung, digitales Lernen, digital unterstütztes Lernen, mobiles Lernen, E-Learning, Tele-Teaching – die Liste könnte weitergeführt werden.

Neben dieser Begriffsverwirrung bleibt auch unklar, was denn überhaupt der Zweck dieses Konstrukts sein soll. Geht es um den Einsatz neuer digitaler Lehr- und Lernmittel, geht es um die Abschaffung von Schulbüchern und deren Ersatz durch neue Medien, geht es gar um eine vollständige Ersetzung traditioneller Unterrichtsformen durch neue digitale Formate, oder geht es darum, Lernergebnisse zu verbessern?

Obwohl das alles unklar ist, wird von digitalem Lernen ein ominöser Mehrwert fürdas Lernergebnis erwartet.[1] Wer an einen solchen Mehrwert glaubt, spricht meist von digitalem Lernen oder digitaler Bildung.

Wem es darum geht Lernen zu verändern, um die Realität neuer Arbeitswerkzeuge (mobile Endgeräte, digitale Kommunikations- und Kollaborationstools)auch in der Schule Einzug halten zu lassen, der wird vielleicht von mobilem oder digital unterstützten Lernen sprechen. Hier geht es nicht mehr zwangsläufig um einen Mehrwert bei der Erreichung eines Unterrichtsziels, er kann bereits im veränderten Lernprozess selbst liegen.[2]

Allerdings streifen diese Diskussionen nur sehr bruchstückhaft den durch die digitale Transformation getriebenen gesellschaftlichen Wandel und seine Bedeutung für das System Schule. Zeitgemäßes Lernen bedeutet vor allem auch einen Wandel von Zielhorizonten, von Organisations- und Kommunikationsstrukturen in der Schule. Dieser Wandel verändert alles, verändert was wir lernen, warum wir es lernen, wie wir es lernen und auch woraus der Lernerfolg besteht.

Eine gute Vorstellung, vor welchen Herausforderungen Schulen im digitalen Zeitalter stehen, bietet das Konzept der vier 21st Century Skills – Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation. Es beschreibt recht prägnant, in welche Richtung der sich abzeichnende Wandel von Schule geht. Dabei dürfen die Begriffe nicht missverstanden werden: Bei Kreativität geht es nicht um Kunst und geniale Innovationen. Es geht darum, „Neues denken zu können (Kreativität), selbst denken zu können (kritisches Denken), mit Anderen zusammen denken zu können (Kollaboration) und eigenes Denken (mit-)teilen zu können (Kommunikation).“ [3][4]

Um diese Herausforderungen annehmen und meistern zu können, braucht es Infrastrukturen in den Schulen, die Lehrer*innen und Schüler*innen in die Lage versetzen, auch in Auseinandersetzung mit den disruptiven digitalen Entwicklungen unserer Zeit Neues zu denken, eigenständige Beiträge zu leisten, in der Klasse und darüber hinaus mit Anderen kommunizieren und zusammenarbeiten zu können.

Ansatz unseres Projektes ist es in diesem Sinne nicht, mit einem eigenen pädagogischen Konzept unsere Version des zeitgemäßen Lernens über den Weg der HPI Schul-Cloud in Deutschlands Schulen zu verbreiten. Digitale Transformation und zeitgemäßes Lernen bedeutet für uns, das pädagogische Konzepte in einem kollaborativen Prozess mit allen Stakeholdern – in erster Linie Lehrer*innen und Schüler*innen - entwickelt werden. Wenn wir also darüber sprechen, wie wir eine andere Pädagogik ermöglichen wollen, dann können wir nur darüber sprechen, in welchen Prozessen wir mit denjenigen arbeiten, die Pädagogik und Didaktik jeden Tag in der Schule leben.

Dennoch sind sich die Entwickler*innen natürlich  bewusst, dass und wie die Struktur der HPI Schul-Cloud (mit ihren Features und Funktionen) den Schulunterricht beeinflusst und verändert.

Wie ist unser Arbeitsmodus?

Unser Anspruch ist, gemeinsam mit den Nutzer*innen ein Werkzeug zu schaffen, das dem komplexen Schulalltag gerecht wird. Die Einbeziehung von Nutzer*innen und ihr Feedback sind daher Grundpfeiler für die nachhaltige, praxisorientierte Einrichtung der HPI Schul-Cloud. Förderlich für diesen Prozess ist, dass viele Mitglieder des HPI Schul-Cloud-Teams fachlich einen pädagogischen Hintergrund haben. Einige Mitarbeiter sind selbst bzw. waren Lehrer*innen oder haben Lehramt studiert. Hierdurch ergibt sich ein Verständnis für die optimale Ausgestaltung der HPI Schul-Cloud, ohne jedoch pädagogische Richtlinien vorzugeben oder vorgeben zu wollen. Wir gehen auf die Bedürfnisse unserer Nutzer*innen ein und wollen eine Infrastruktur entwerfen, mit dem sich Konzepte für zeitgemäßen Schulunterricht realisieren lassen. Die wichtigsten Instrumente zur Einbeziehung der Nutzer*innen bei der Programmierung der HPI Schul-Cloud sind:

  • User-Stories und die Problem-Meldefunktion: In der HPI Schul-Cloud können Online-Masken ausgefüllt werden, die ein direktes Feedback zur Anwendung und eventuell aufgetretenen Schwierigkeiten ermöglichen. Außerdem führen wir regelmäßige Nutzerumfragen zu allen möglichen Themen durch.
  • Die AG-Unterricht: Hier können Lehrer*innen im produktiven Austausch Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse kommunizieren und an das HPI Schul-Cloud-Team weitergeben. Kleinere Anliegen zur Bedienbarkeit können zeitnahvon den Entwickler*innen übernommen werden. Bei der AG-Unterricht handelt es sich ausschließlich um einen Feedback-Kanal für Lehrer*innen. Entsprechende Feedback-Kanäle für Schüler*innen sollen geschaffen werden.
  • Direkte Kontakte: Das Team der HPI Schul-Cloud pflegt den persönlichen Austausch mit Nutzer*innen. User, die Probleme haben, können (innerhalb der Datenschutzrichtlinien) direkt per E-Mail oder Telefon kontaktiert werden. Das MINT-EC-Team ist zudem immer wieder in den Schulen vor Ort, um regelmäßig Rückmeldungen zu erhalten und auf Probleme einzugehen.
  • Webinare: Unser Kooperationspartner MINT-EC veranstaltet regelmäßig Webinare, in denen grundlegende und neue Funktionen der HPI Schul-Cloud erklärt und vorgestellt werden. Außerdem gibt es ein Q&A-Webinar, in dem Fragen zur HPI Schul-Cloud direkt beantwortet werden.
  • Design-Thinking-Workshops: Gemeinsam mit Lehrer*innen und Schüler*innen aus den Pilotschulen werden halbjährlich mit dem Ansatz des Design Thinking innovative Lösungen für konkrete Problemstellungen entwickelt. Die Herangehensweise des Design Thinking ist bekannt dafür, Nutzerwünsche und -bedürfnisse besonders zu berücksichtigen. Für die Entwicklung der HPI Schul-Cloud sind die auf den Workshops erarbeiteten Ideen essentiell.
  • Externe bildungswissenschaftliche Begleitung: Zur Entwicklung von Beispielen für die Unterrichtsgestaltung und -organisation mit der HPI Schul-Cloud sowie einem Nutzungskonzept für Pilotschulen ist eine externe bildungswissenschaftliche Begleitung beauftragt (z. B. die Universität Augsburg und das Georg-Eckert-Institut). Sie befasst sich unter anderem mit einer pädagogisch-didaktisch sinnvollen Anwendung, Best-Practice-Beispielen sowie Potenzialen der HPI Schul-Cloud.

Durch die genannten Feedbackmaßnahmen und die stetige Rückkopplung im Entwicklungsprozess hoffen wir in der Lage zu sein, Lösungen zu schaffen, die praxisnah und leicht bedienbar sind. Die Nutzer*innen fungieren als Prüfstein, damit unsere Plattform vor allem folgende Merkmale erfüllt: praxisnah, einfach und sicher.

Dieser Text ist ein erster Auszug aus dem zweiten Technischen Bericht zur HPI Schul-Cloud, der im Februar veröffentlich werden wird.


[1]Zum Mehrwertbegriff vergleiche Krommer, Axel: Wider den Mehrwert! Oder: Argumente gegen einen überflüssigen Begriff, URL, letzter Zugriff: 18.10.2018

[2]Das hinter dieser Denkhaltung stehende wissenschaftliche Konzept ist das SAMR Modell, vgl. Puentedura, Ruben: Transformation, Technology and Education, 2006.

[3]Muuß-Merholz, Jöran: Die 4K-Skills: Was meint Kreativität, Kritisches Denken, Kollaboration, Kommunikation?, URL, letzter Zugriff:18.10.2018

[4]Nicht verschwiegen werden soll, dass das 4K-Modell durchaus auch Widerspruch hervorruft, sowohl aus der Perspektive einer angeblichen Ökonomisierung der Bildung durch Kompetenzorientierung, als auch aus einem angeblichen Konflikt mit dem humboldtschen Bildungsideal. Vgl. zur Kritik einer angeblichen Ökonomisierung Prof. Dr. Kautz, Jochen: Kompetenzen machen unmündig. Eine zusammenfassende Kritik zuhanden der demokratischen Öffentlichkeit. in: Die Schule ist kein Wirtschaftsbetrieb. Bildung in der Effizienzfalle?, hrsg. von René Scheppler GEW Wiesbaden, URL, letzter Zugriff: 18.10.2018. Vgl. zum Konflikt mit dem humboldtschen Bildungsideal Füller, Christian: Im Nerv getroffen, URL, letzter Zugriff: 18.10.2018